Nacktheit und Religion


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Geschrieben von Ulrich am 21. Mai 2000 18:58:46:

Jahrtausendelang wurde (und wird) das Verbot öffentlicher Nacktheit religiös begründet. Doch das war nicht immer so:

"In der ältesten Zeit, von der keine geschichtliche Kunde uns meldet, war bei den gottesdienstlichen Handlungen, durch die die Gnade der Gottheit, ihr Segen für das Leben in Menschen, Tieren und Gewächsen, ihr Schutz gegen feindliche Kräfte und Wesen errichtet werden sollte, völlige Nacktheit des Bittenden und Opfernden erforderlich. Losgelöst von dem unreinen, gewöhnlichen Leben sollte der Mensch vor die Gottheit treten, wie ein vom Leben noch nicht beflecktes Kind. Auch die Götter waren ja in der Urzeit noch unverhüllt gedacht. Wer eine über menschliche Kraft reichende Handlung vollziehen, den Göttern gleich wirken wollte, musste wie sie nackt erscheinen. In den volkstümlichen Gebräuchen, die auf einen Einblick in die Zukunft und die Erkenntnis geheimnisvoller Erscheinungen zielen, ist die Nacktheit geboten; allerdings ist meistens die Entblössung des ganzen Leibes auf einen Teil, zum Beispiel die Füsse beschränkt." (Paul Herrmann, Deutsche Mythologie)

Etwas anders, aber doch ähnlich äussert sich Timothy Leary in seinem Essay "Über die Kriminalisierung des Natürlichen" zur Urreligion der Tropen: "Der Körper spielt beim religiösen Ritual eine hervorragende Rolle: er trommelt, singt und tanzt. Der Körper bietet alle Überlebenswerkzeuge und Hilfsmittel zur Anbetung. Entsprechend wird er in seiner paradiesischen Nacktheit (heute: wie in aufklappbaren Illustriertenabbildungen?) zur Schau gestellt und glorifiziert. Selbstverständlich spielt die Frau in der heidnischen Kultur eine herausragende Rolle, sieht man doch ihren Körper als Produzenten des Lebens schlechthin an." Über den späteren Wandel in frühgeschichtlichen Hochkulturen, seit dem Nacktheit religiös tabuisiert wird, schreibt Leary weiterhin:

"In polytheistischen Gesellschaften betet man Naturkräfte an, seien es Geister der Tiere oder die nackte Form des attraktiven, gesunden Menschen. Check mal die religiöse Kunst in den Höhlen-Galerien heidnischer Völker.

"Die feudalen Gesellschaften stehen dazu in starkem Kontrast. Hier dreht sich alles um einen alleinherrschenden älteren GottesMann - das monotheistische Prinzip. ER allein sitzt, in Gewänder verhüllt, auf dem Thron. Diesen ChauviGott sieht man nie barfüssig oder gar nacktarschig durch die 30.- 45. Strasse [= die Region zwischen dem 30. und 45. Breitengrad] flanieren. Nicht ist je über seine nackte Schönheit oder seine Anmut berichtet worden. Kannst du dir Jehova auf dem Cover des Rolling Stone vorstellen?

"Monotheistische Religionen tendieren zu einer Verleugnung des Natürlichen. Sie verachten den Körper. Sie manifestieren einen puritanischen Hass, wenn es um nackte Frauenkörper geht. Sowohl bei orthodoxen Christen als auch bei Moslems und Juden ist die Verhüllung der Frau mit schwarzen Kleidern und Gewändern Teil der Kultur. Dies billige und unmodische Kluft wurde entworfen, um ihr lebensbejahendes Image zu verhüllen. Ihre Nacktheit wird allenfalls zum Eigentum des Ehemannes - von Gottes Gnaden." (Timothy Leary, Über die Kriminalisierung des Natürlichen)

Deshalb hat FKK für mich auch eine religiöse Dimension, da ich denke, dass alle Probleme, die Menschen mit dem nackten Körper haben - von der übertriebenen Scham bis zum Exhibitionismus -, ihren Ursprung in der Tabuisierung und Dämonisierung des Körpers durch die Religion genommen haben. Daher halte ich den Versuch mancher Naturisten, ihre Anschauung mit dem Christentum in Einklang zu bringen, für langfristig wenig erfolgreich. Wogegen zu meiner Weise des Naturismus auch die Beschäftigung mit religiösen Wegen, die kultische Nacktheit beinhalten oder zumindes nicht ablehnen, wie asiatische oder Naturreligionen, dazugehört.

Vielleich alles etwas sehr ausführlich. Ich möchte aber doch zu einer Diskussion anregen, welchen Stellenwert Religion im Naturismus einnimmt und inwieweit bestimmte religiöse Wege mit FKK überhaupt in Einklang zu bringen sind.

"Man kann nicht den Schöpfer lieben, wenn man seine Schöpfung verwirft." (Walter Schubart, Religion und Eros)




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