Re: Ein paar nackte Gedanken (und eine kurze Predigt)


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Geschrieben von Ernst am 10. Juli 2000 14:23:57:

Als Antwort auf: Ein paar nackte Gedanken (und eine kurze Predigt) geschrieben von Uli am 09. Juli 2000 20:06:07:

Recht hast Du in Deinen Ausführungen.
Ich selber kann es nicht nachempfinden, welche Probleme manche Leute mit dem Nacktsein haben.
Zwar gehört es zum Grundwissen eines Menschen, daß Menschen gerne schöne Menschen anschauen, auch und gerade wenn sie nackt sind.
Trotzdem ist es verpönt, sich zu zeigen oder andere anzugucken. Es ist einfach eine hergebrachte Gesellschaftliche Konvention. Mich würde es interessieren, welche Argumente es für die Ansicht gibt, daß es etwas verwerfliches ist, wenn ein Mensch einen anderen Menschen betrachtet.


>Überdruss am Thema „Spanner“ und „Spannerinnen“? Verstehe ich. Aber ich fürchte, wir werden damit penetrant von i n n e n belästigt, aus unserem eigenen psychischen Untergrund. Wie ließe sich sonst soviel gedankenlose Gereiztheit erklären? Schauen wir doch mal nach, was uns da plagt.
>Über unsere absonderlichen „Probleme“ mit dem Hinschauen und Angesehenwerden werden die Menschen irgendwann einmal den Kopf schütteln oder lachen. Diese Probleme sind beileibe nicht nudisten-spezifisch, sondern kulturtypisch. Sie sind das Ergebnis jahrhundertelanger Konditionierung und insbesondere Erbe der Prüderie des 19. und 20. Jahrhunderts. Die selbe innerpsychische und zwischenmenschliche Konfusion ist überall vorhanden, wo unsere Körperlichkeit lustvoll-sexuell wahrgenommen wird, also auch unter Bekleideten.
>Unter Nackten freilich erscheint das „Problem“ vielen verschärft, weil eben die Geschlechtsorgane die zentralen Zonen der Scham und der inneren (und äußeren) Verbote waren und sind.
>Ich habe mir einmal überlegt, wie die beiden möglichen Pole einer Kultur des Sehens und Gesehenwerdens aussehen.
>Am einen Pol befinden sich: Lust, Spaß, Freundschaft, Wohl-Wollen, Anerkennung, Bewunderung, Gewähren, Akzeptieren, Freiheit, gute Gefühle, offene Blicke, positiver Kontakt, Unschuld... .
>Am anderen Pol befinden sich: Gereiztheit, Ärger, Ängste, Verunsicherung, Beleidigung, Verbote, Sich-angegriffen-fühlen, Verstellung, Scheinheiligkeit, böse Gefühle, Schuld und Scham... .
>Für welchen Pol entscheiden wir uns? In welche Richtung wollen wir uns entwickeln? Wo befinden wir uns zur Zeit?
>Die Fragen soll jede und jeder einmal für sich persönlich beantworten.
>Ich selbst befinde mich wohl irgendwo zwischen den Polen, aber die R i c h t u n g , in die ich gehen will, meine W a h l , ist klar.
>Wir sollten uns überhaupt klar machen, dass es sich tatsächlich um eine Wahl handelt. Blicke „an sich“ sind kein „Problem“, sondern sie werden es erst durch unsere subjektive Deutung und Erlebnisweise; das „Problem“ entsteht erst im Kopf, es ist unsere eigene Schöpfung. Das gilt für Blicke wie für Erektionen oder Rasuren oder Ausländer oder Schwule oder Lebensstile..., vermutlich für den allergrößten Teil unsrer Probleme, unseres Ärgers, unsrer Ängste.
>Wir schreiben also in unseren Problem-Filmen selbst das Drehbuch, führen die Regie und spielen in verschiedenen Rollen selbst mit. Wenn wir uns dabei Problem-Rollen (etwa eine Opfer-Rolle) geben, ist das im Prinzip unser Recht; leider wollen wir dann oft a n d e r e Menschen zwingen, in unserem Film eine Rolle zu übernehmen, evtl. die Rolle des Bösewichts, und d a s ist nicht O.K.
>
>Wenn wir tatsächlich wählen können, warum treffen dann viele die n e g a t i v e Wahl? Ist das Masochismus? Auch Wut auf andere, in diesem Fall die „Spanner“, ist ja Selbstverletzung; mit einem Gleichnis Buddhas: als ob man in glühende Kohlen griffe, um damit nach andern zu werfen.
>Um einer Antwort näherzukommen, ein paar Gedankenspiele ( vielleicht haben einige ja doch Lust an besserem Verstehen):
>Bedenken wir zuerst, daß die inneren Vorgänge bei den meisten weitgehend unbewusst und deshalb fast „automatisch“ ablaufen. Durch ein wenig Aufmerksamkeit können wir sie allerdings an's Licht holen (und dann evtl. auch verändern).Was geht also in uns vor?
>Wenn ich auf meiner psychischen „Festplatte“ programmiert habe, dass offene sexuelle Wahrnehmung als unmoralisch/schmutzig/sündig gilt, dann bedeutet das logisch und psychologisch, dass i c h unmoralisch/schmutzig/sündig bin, denn die lustvolle Wahrnehmung anderer, die sexuelle Schaulust, ist zweifellos Teil der N a t u r eines jeden Menschen, auch meiner. Jeder „Spanner“ aktiviert nun das bewusste und unbewusste Schuldgefühl wegen unsrer eigenen „Sündhaftigkeit“ in uns. Wir werden gereizt, wir fühlen uns angegriffen, obwohl w i r es sind, die die Atmosphäre mit feindlichen, „bösen“ Gedanken, Gefühlen und Blicken aufladen. Wir akzeptieren das „Spannen“ nicht, weil wir unsere eigene Lust daran nicht akzeptieren. Ein sehr einfacher Zusammenhang. Aber solche Programmierung ist nicht ganz einfach aufzulösen, sie ist schon in früher Kindheit angelegt und hat viele Ebenen.
>Bei nicht wenigen auch eine religiöse: die Angst vor einem Rachegott, der die Sexualität und die „Versuchung“ zwar geschaffen hat, aber ihr zu erliegen mit ewiger oder, im Fall des katholischen Fegefeuers (wie gnädig) befristeter Folter bestraft. Es ist vielleicht interessant, einmal zu prüfen, wie stark dieses Angstbild in der eigenen Psyche noch wirksam ist!
>(Zur Beruhigung der Ängstlichen: GOTT hat die sexuellen Freuden (auch die Schaulust) gewiss nicht erfunden, damit wir sie verurteilen und gegen sie kämpfen, sondern damit wir das wunderbare Geschenk annehmen und genießen. Sonst wäre „Gott“ ein zynisches oder verrücktes Monster, und was immer wir uns unter IHR (oder IHM) vorstellen, ein Monster sollte es nicht sein! Fazit: „SpannerInnen“ spielen eines der vielen anregenden Spiele GOTTES und sollten es respektvoll, freudig und liebevoll tun! Das nur als kleiner theologischer Exkurs.)
>Ich kenne die „nudistischen“ Schriften und Theorien kaum, möchte aber darauf wetten, dass es darin viele Versuche gab (und gibt?), das Sexuelle zu vertuschen oder auch selbst zu verurteilen, um vor den eigenen inneren Zensurinstanzen und natürlich dem Argwohn und Befremden (und der angeregten erotischen Phantasie) der „angezogenen“ Mitwelt bestehen zu können.
>Wie sollte das anders sein, wenn sich eine zunächst misstrauisch beäugte Minderheit daranmacht, die tiefverwurzelten Schamgrenzen zu übertreten.
>
>NudistInnen in unsrer Übergangskultur leben möglicherweise in Widersprüchen: Sie wollen die N a t ü r l i c h k e i t und U n s c h u l d des Nackseins empfinden und genießen, müssen aber die Wahrheit der überall wirksamen sexuellen Lust immer noch verschleiern und verdrängen, also g e g e n ihre Natur und die reale Unschuld der Sexualität arbeiten. NudistInnen bekleiden oder verschleiern sich also möglicherweise m e n t a l . Das Nichthinsehen und Vorbeisehen an entblößten Körperregionen, die von anderen zwanghaft hinter Kleidung verborgen werden, wurzelt in der gleichen verurteilenden und das Offensichtliche verleugnenden Moral.
>Das soll als Theorie aber vorerst reichen. Die Wirklichkeit ist ohnehin immer wesentlich vielschichtiger und bunter als jede Theorie, und NudistInnen bilden schließlich auch keine einheitliche Gruppe; unter ihnen gibt es die Prüde wie den lustvollen Exhibitionisten, die wunderbar „schamlose“ Voyeurin wie den „verklemmten“ Voyeur, die gekonnt getarnte „Spannerin“ wie den moralischen Verurteiler. Vielleicht aber regen die Überlegungen einige zu eigenem Nachdenken an. Hoffentlich in Richtung größerer Freiheit, Gelassenheit, Lust und Offenheit.





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